Aus der Serie: Der Titan berichtet… aus
Buenos Aires, dem Mekka des südamerikanischen Fußballs

 

Sechs „Tauchgänge“ in die Tiefen der argentinischen Fußballseele waren uns bei unserem 14-tägigen Aufenthalt in der Megacity am Rio de la Plata vergönnt.

Zunächst einmal die nackten Zahlen und Fakten:
In der argentinischen Superliga spielen 26 Mannschaften eine einfache Runde. Im Gegensatz zu Chile war die Saison hier schon seit August im Gange und endet am 6.4.

Allein zehn Mannschaften aus der Stadt und der Region spielen in der höchsten Liga. Zu den fünf großen „Fischen“ zählen der aktuelle Copa-Sieger River Plate, der Dauerrivale Boca Juniors, der aktuelle Tabellenführer Racing und die zwei Traditionsvereine Independiente und San Lorenzo.

Da schlägt das Fußballherz eines jeden Fans erstmal höher, wenn man sich länger in BA aufhält und durch die unsägliche Fernsehvermarktung der Liga und der Copa Libertadores fast jeden Tag ein Spiel stattfindet. Doch wie an Karten kommen?

River Plate
Der „Los Millionarios“ genannte Verein River löst das über eine Anmeldeliste auf einer Plattform, anschließend die Prozedur des Online-Bezahlens, und wenn alles geklappt hat, mit dem Ausdruck an einem bestimmten Tag zum Stadion an die Kasse und gegen Vorlage desselbigen die Eintrittskarte abholen. Arschlecken dachte ich, Lotteriespielen wäre einfacher. Also nur mal deren Prunkfassade ihres Monumentalstadions von außen fotografiert.

     

Boca Juniors
„Boca brauchste gar nicht versuchen, das geht als Tourist nur über ne findige Agentur“ sagte man uns. Und tatsächlich vermarktet so ein „Geldhai“ das Erlebnis Boca im Paket mit zusätzlichem Service wie Guide(?), Getränk und Shuttle für schlappe 160 bis 280 US$!! (US-Amerikaner, wie uns berichtet wurde, haben das gemacht und zur Pause festgestellt, dass sie Fußball eigentlich nicht interessiert. Die sind dann gegangen. Unfassbar!!!)

Also, was bleibt einem leidenschaftlichen Fußball- und Stadionfan anders übrig, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen?

Los ging’s am Rosenmontag mit einer Partie der Superliga im Estadio José Amalfitani im Stadtteil Versalles:

Velez Sarsfield vs Tigre

Und wer sagt’s: Einfach hinfahren, Eintrittskarten am Kassenhäuschen kaufen (für 400 der Herr bzw. 200 Pesos die Dame, ca. 10/5€) und hinein in den ersten Fußballtempel auf die Tribuna popular, steil, hohe Stufen, blau! Und eine überdimensionale Coladose am Flutlichtmast. Sofort fällt der Blick auf die leere Gegenkurve, weil seit fast 6 Jahren keine Gästefans mehr erlaubt sind… Alkohol wird auch keiner ausgeschenkt, dafür aber überall im weiten Rund gekifft! Und natürlich gesungen: 90 Minuten lang mit Trommeln und Trompeten stimmen die Aficionados in der Ultrakurve ein Lied nach dem anderen an und oft singen alle mit. Es wird kommentiert, geflucht und – vor allem Schiri und Gästespieler – beschimpft. Am Ende wird die eigene Mannschaft auch nach Niederlagen besungen. Und das gilt für alle Spiele und Stadien, die wir besucht haben, egal in welcher Liga!

Tigre gewann das Spiel noch, nach 0:1-Pausenrückstand mit 2:1.

         

CA Huracan vs Cruzeiro

Donnerstag war Copa-Tag und so gings mit der Metro zu unserem nächstgelegenen Stadion, über das wir schon beim Landeanflug auf BA hinweggeflogen sind: Zu CA Huracan in den Stadtteil Parque Patricios. Auf dem Programm im Estadio Tomas Adolfo Duco stand ein Copa Libertadores-Spiel gegen Cruzeiro aus Brasilien. Leider hatten wir uns ein bisschen verspätet, so dass die Kassenhäuschen schon geschlossen waren. Doch drei Männer sprachen uns gleich an und boten an, uns auf ihre „socios“ (Mitglieder)-Karte mit hinein zu nehmen. Statt 850 P. zahlten wir halt 1000. Egal, Hauptsache drin im nächsten, schon sehr in die Jahre gekommenen Betonbauwerk genannt Stadion. Wieder steil, groß und – wie alle anderen auch – nicht überdacht. Und das sollte diesmal eine besondere Rolle spielen. Denn pünktlich zum Anpfiff setzte ein dem Namen Huracan entsprechender „Orkan“wind ein und brachte einen Wolkenbruch und 90 Minuten Dauerregen. Doch das tat dem Spiel und vor allem der Stimmung auf den Rängen keinen Abbruch. Im Gegenteil: Uns wurde technisch hervorragender und temporeicher Spitzenfußball geboten und die nimmermüden, wie wir bis auf die Haut durchnässten Fans sangen und feuerten ihr Team unentwegt an. Und Huracan hätte wirklich ein Tor verdient, doch der brasilianische Torwart erwies sich als unüberwindbar. So feierten am Ende die ca. 100 Brasileros den 1:0-Erfolg ihrer Mannschaft. (Bei der Copa sind Gäste erlaubt).

Was für ein beeindruckendes Erlebnis, in Bild…

     

  

…und Bild & Ton:

 

Barracas Central vs Tristan Suarez

Am nächsten Tag bei wieder trockenem Wetter gings noch einen Tauchgang tiefer in die Prim B Metro, die dritte Liga, die nur aus Stadtteilvereinen besteht, ähnlich der Hamburger Oberliga. Gespielt wurde im Estadio Claudio „Chiqui“ Tapia im Stadtteil Barracas. Es spielte der deutlich die Tabelle anführende Club Barracas Central gegen Tristan Suarez aus einem Vorort.

Und hier ist sie zuhause, die Seele der argentinischen Fußballfans, ganz unten im ärmeren Teil der Stadt. Mit Leidenschaft, Emotionen, Kind und Kegel und viel süßlichem Duft in einem Ground, der seinem Namen gerecht wird. Und wieder unentwegter Support von den auf ihrer eigenen Tribuna popular stehenden Fans. Die vier an jeder Eckfahne stehenden Polizisten dienen in der Pause und nach dem Spiel als Begleitschutz für das Schiedsrichtergespann, meist vor den aufgewühlten Spielern. Diesmal hatten sich die Gäste über zwei sehr spät gegen sie gepfiffene Strafstöße aufgeregt, die das Spiel letztendlich mit 3:0 für Barracas entschieden. Mit dem Gefühl, nach drei unterschiedlichen Spielen in verschiedenen Wettbewerben angekommen zu sein im tiefen Meer des argentinischen Fußballs, gingen wir zufrieden nach Hause.

   

  

_______
Drei weitere „Taucherlebnisse“ warten noch auf uns: Boca (?!!), San Lorenzo und Atlanta.
Demnächst exklusiv hier auf dem idiotensport.

 

 

Fußball aus der Tiefe des Volkes (1)
Markiert in:                                                             

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.