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Daglfing, Olching, Milbertshofen: Jeder, der in den 1980ern Sonntag nachmittags regelmäßig die Sportreportage gesehen hat, kann genau jetzt sagen: Ja genau. Dazu muss man nicht in München geboren sein, dazu muss man nur sonntags ZDF geschaut haben. Dann weiß man außerdem, wer oder was Vlado Stenzel, Erhard Wunderlich, der TV Großwallstadt, die Grugahalle, Dinslaken, Heinz Wewering, Arnim Basche, Karl Senne, Moderner Fünfkampf, Rhönradfahren, Faustball, Erich Kühnhackl, der SC Riessersee, die Düsseldorfer Brehmstraße, Military, Barren, Paul Schockemöhle und Eberhard Gienger ist oder war. Und dann kann man jetzt auch, ohne nachzuschauen, ja sogar ohne lange zu überlegen, sagen: Olching: Speedway. Milbertshofen: Handball. Daglfing: Trabrennen.

Die 80er Jahre waren schrecklich. Man trug die Haare vorne kurz und hinten lang, hörte ebensolche Musik, in der Disco, die noch den Besitzer in ihrem Namen trugen, oder im Partykeller, den es in jedem zweiten Haus gab und der überall gleich aussah, helles, massives Holz, das waren die achtziger Jahre irgendwo im Nichts, überall Bretter, alles schwer. Man sagte Mahlzeit! und aß irgendwas, was in einer sämigen Kantinensoße schwamm. Die sämige Kantinensoße, das ist es überhaupt, das ist der Geschmack der 80er. Und nochmal eine Ladung Kartoffelbrei, danke! Die Erwachsenen fanden das gut, die waren aber auch ungefähr tausend Jahre älter, trugen getönte Brillen und waren sehr erwachsen. Nicht auffallen und den Kohl mal machen lassen. Was für ein Scheißjahrzehnt.

Die Trabrennbahn Daglfing, das sind die Achtziger dreißig Jahre später. Architektonisch sowieso, und musikalisch selbstverständlich auch. Aus der Schepperanlage tönten Smokie, Wham und Konsorten, da war ‚Jump‘ von Van Halen ganz klar die progressivste Nummer des Abends. Die spärlich vorhandenen Besucher im Münchner Osten, die so genannten ‚Unentwegten‘, hörten das alles nicht; sie waren zu neunzig Prozent ebenfalls aus den 80ern, das passte wunderbar. In den Traberstuben saßen sie und wetteten auf Pferde wie Ufo de Valle, Dominator Venus, Lord of Troikas, Undercover Lover, Okidoki, Somebeachsomewhere oder Lilly Ass. Weniger erfahrene Kandidaten (also wir) mussten zur Entscheidungsfindung ab und an die Programmzeitschrift TRAB Aktuell zu Hilfe nehmen – manchmal allerdings kamen wir vor Begeisterung für die stilsichere Sprache der Trabexperten gar nicht mehr rechtzeitig an die Toto-Schalter. So versäumten wir leider, auf Hot Heart zu setzen, dieses „heiße Geschoss, das in München schon schnelle Abschnitte hinlegte und hier glattgehend sogar gewinnen kann“ – was es dann auch tat. Hingegen hatten wir bei Radiosa Gual („Wir sagen: Geldbeutel auf“) und vor allem beim „guten Beginner“ Quito de Bois („zeigte sich bei seinen Münchener Erfolgen zäher als eine Schweizer Bergziege“) den richtigen Riecher, indem wir dem Magazin die Gefolgschaft verweigerten. Im Falle Eras Beuckenswijk wiederum („scheint den Winner Circle zu meiden wie der Teufel das Weihwasser“) behielten die Fachleute Recht und ich nicht. Nur bezüglich einer achtjährigen Stute namens Lights on Diamant war jeglicher Zweifel von vornherein ausgeschlossen: Sie könne „nur fehlerfrei in die Wette laufen, wenn alle anderen wegbrechen“. Na das ist doch mal ein Wort.

So blieb ich zurück an diesem Montagabend mit ein paar Euro Verlust, der spektakulären Erkenntnis, dass es beim Wetten allermeistens so oder so ausgehen kann, und einer seltsamen, möglicherweise den Sonntagnachmittagen vor dem Fernseher (oder auch einer Faszination für das Ranzige, Kaputte, Verfallende) geschuldeten Empathie für einen vergangenen Ort, eine nicht mehr gefragte Sportart, für Menschen, die einfach nicht hineinpassen wollen ins Hier und Jetzt. Eine Empathie, von der ich mich jedoch im selben Moment schon wieder distanzieren will, weil sie mich letztlich nur zurückwirft in eine Zeit, die nun einmal größtenteils eine enge, kleine, beschränkte war – zumindest so lange, bis es die Housemartins aus Hull/England im Jahre 1987 mit einem Überraschungshit via Bayern 3 in meine Welt schafften. Five Get Over Excited war der Anfang vom Ende der 80er, wie ich sie bis dahin gekannt hatte.

Zum Beispiel in Form der Trabrennbahn München-Daglfing.

Architektur    Haus II

Gelaender    Zum Imbiss

Toto    Brotzeit-Getraenke

Giesskanne    Lektuere

Sonne    Verwaltg    Untergang

A5    Daglfing

Renn 5    Himmel

Dagl    Bahn

Traber

 

Vielen Dank an A. für die bessere Hälfte der Fotos.

 

Alles vergeht
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